Erster Männergesundheitsbericht
Ein Pilotbericht
Herausgeber:
Matthias Stiehler (Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit)
Doris Bardehle (Stiftung Männergesundheit)
W. Zuckschwerdt Verlag München 2010
198 Seiten / 23,2 x 16,4 x 1,2 cm
€ 29,90 (D)
ISBN 978–3886039876
Statement von Dr. Matthias Stiehler auf der Pressekonferenz anlässlich der Herausgabe des „Ersten Deutschen Männergesundheitsberichts“ am 28. Oktober 2010
“In unserem Männergesundheitsbericht werden zahlreiche Themen angesprochen, die im ersten Moment nicht überraschen. Interessant ist jedoch, dass es in all diesen Themenfeldern überraschend viele offene Fragen gibt. Männer lassen sich etwas überspitzt als „die unbekannten Wesen“ beschreiben. Das trifft im Besonderen auf die Männergesundheit zu. Nicht nur die Politik ging fast selbstverständlich davon aus, dass das meiste bekannt ist und gar nicht so viel Forschungsbedarf bei Männern besteht. Unser Männergesundheitsbericht zeigt nun erstmals in komprimierter Weise, dass dieser Optimismus so nicht geteilt werden kann.
Ich möchte ein Beispiel nennen, das diese Aussage sehr anschaulich belegt: Es ist schon länger bekannt, dass Männer eine gegenüber Frauen deutlich kürzere Lebenserwartung haben (5,3 Jahre). Dies wurde zum einen auf biologische Faktoren zurückgeführt – wobei neuere Forschungen davon ausgehen, dass diese Faktoren höchstens ein Jahr betragen. Als zweite Ursache muss davon ausgegangen werden, dass Männer deutlich riskanter mit ihrem Leben umgehen. Die Todesursachenstatistik belegt das auch sehr eindrücklich. Viele Erkrankungen, an denen Männer sterben, haben ihre Ursache in ungesundem Verhalten.
2009 Gestorbene:
- akuter Herzinfarkt 40 – 50-Jährige Männer: 1238 / Frauen: 250 (5:1)
- Lebererkrankungen 40 – 50-Jährige Männer: 1388 / Frauen: 569 (mehr als doppelt so viele)
- Transportmittelunfälle 15 – 25-Jährige Männer: 767 / Frauen: 212 (mehr als dreimal so viele)
- Suizide 40 – 50-Jährige Männer: 1451 / Frauen: 454 (3:1)
Was diese Einschätzung aber nicht beantwortet, ist die Frage, warum dies so ist. Dafür muss es Gründe geben, die gemäß gesundheitswissenswchaftlicher Erkenntnisse in der Gesellschaft verankert sind. Denn wenn ein Phänomen eine gesellschaftliche Gruppe betrifft, dann liegen auch die Ursachen auf dieser Ebene. Die Frage lautet also: Wenn wir davon ausgehen, dass riskantes Verhalten eine Form der Lebensbewältigung darstellt, dann müssen wir uns fragen, was die gesellschaftliche Situation von Männern ausmacht, dass sie unter einem solch großen Bewältigungsdruck stehen.
Diese Frage wurde in den letzten ein bis zwei Jahren zunehmend mit sozialen Differenzen innerhalb der Gruppe der Männer versucht zu bentworten. Demnach würde die niedrigere Lebenserwartung vor allem untere soziale Schichten treffen. Doch so richtig die Aussage ist, dass sich soziale Ungleichheit in einer unterschiedlichen Lebenserwartung zeigt, so wird damit die Geschlechterdifferenz nicht beantwortet. Dies wird in unserem Bericht durch die Studie der DKV gezeigt. Denn hier zeigt sich bei einem vergleichsweise sozial homogenen Klientel der gleiche Unterschied im Gesundheitsverhalten und in der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern, wie er auch in der Gesamtbevölkerung deutlich wird.
Damit stellt sich die Frage, unter welchem, auch gesellschaftlichen Bewältigungsdruck Männer stehen, noch einmal neu. Und diese Frage ist bisher keinesfalls abschließend beantwortet – ja sie wird gesellschaftlich kaum als Frage wahrgenommen, obwohl die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Lebenserwartung seit Jahrzehnten bekannt sind. Dies ist keine rhetorische Frage, denn es gibt hier wirklich noch keine abschließenden wissenschaftlichen Antworten. Auch ein Männergesundheitsbericht kann das kaum leisten. Aber er kann dieses Problemfeld aufzeigen und in die Öffentlichkeit kommunizieren. Wir hoffen, dass uns dies mit dem Ersten Deutschen Männergesundheitsbericht gelungen ist.
Als Praktiker, der zahlreiche Männer- und Paarberatungen durchführt, der Männergruppen und Männerworkshops leitet, fällt mir auf, dass der Erwartungsdruck, dem Männer im Beruf, aber auch im Privaten unterliegen, vor allem auf deren Funktionieren ausgerichtet ist. Diesen Erwartungsdruck haben die Männer gegenüber sich selbst, aber er wird auch an sie herangetragen. Damit können Männer zwar ihre Macherqualitäten beweisen und fühlen sich gebraucht und nützlich. Die andere Seite aber, die eben auch zum Leben dazugehört, die bedürftige, die kommt bei Männern chronisch zu kurz.
Die schwierige Männergesundheit ist vor allem ein Ausdruck dieser zweiten, vernachlässigten Seite. Und die Tatsache, dass es so lange bis zu einem Männergesundheitsbericht gedauert hat, ist eben auch Ausdruck der gesellschaftlichen Haltung gegenüber Männern. Damit wird die gesellschaftliche Brisanz des Männergesundheitsthemas im Allgemeinen und des Männergesundheitsbericht im Speziellen deutlich. Es geht gesellschaftlich auch um unser Männerbild, um das Rollenverständnis und um die Erwartungen, die an Männer gestellt werden.”
Berichte aus den Tageszeitungen
Das Zitat von Matthias Stiehler: „Männer, nehmt Eure Krisen ernst – die körperlichen, wie die seelischen.“ wurde am 29.10.2010 in knapp eintausend Tageszeitungen im gesamten bundesgebiet abgedruckt. Hier ein Beispiel:
Inhalt:
- Martin Dinges: Männlichkeit und Gesundheit: Aktuelle Debatte und historische Perspektiven
- Doris Bardehle: Gesundheit und gesundheitliche Versorgung von Männern
- Gunter Neubauer, Reinhard Winter: Jungengesundheit in Deutschland: Themen, Praxis, Probleme
- Kurt Seikowski, Uwe Paasch: Der alternde Mann
- Johannes Siegrist: Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit
- Birgitta Sticher: Riskantes Verhalten
- Frank Sommer, Lothar Weißbach: Männerkrankheiten
- Theodor Klotz: Krankheiten von Männern: Interdisziplinäre Betrachtungen
- Anne Maria Möller-Leimkühler, Siegfried Kasper: Psychische und Verhaltensstörungen
- Birgit Babitsch, Ruth Waldherr-Ifada, Doris Bardehle, Sabine Mackleben-Haag, Ingo Fuß: Männergesundheit aus Sicht der DKV
- Maren Salberg, Doris Bardehle: Online-Angebote zum Thema Männergesundheit
- Matthias Stiehler: Fazit: Wir wissen zu wenig über Männer und Männergesundheit